Massiv »Ghettolied« – ein Song und seine Geschichte

»Ihr wollt’n Ghettolied? Auf einem Ghettobeat? / Kommt nach Wedding, dann wisst ihr, wo das Ghetto liegt!« Der Song, mit dem Massiv 2006 im deutschen Rap-Game aufschlug, ist bis heute legendär. Im Interview spricht er über die Entstehung, den Videodreh und den Kultstatus, den der Song bis heute genießt.

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Das »Ghettolied« hat eine lange Tradition: 2006 erschien das Original auf Massivs Debüt »Blut gegen Blut« über Basstards Horrorkore-Label, der Remix von den Beathoavenz 2007 auf dem »Blut gegen Blut«-Re-Release. Im gleichen Jahr erschien auch das »Ghettolied Part 2« als Free-Track. Später kamen dann noch das von Johann S. Kuster produzierte »Ghettolied 2011«, sowie »Ghettolied Intifada« mit Celo & Abdi, für das Abaz den Beat beisteuerte.

  • Massiv, wann hast du den Beat vom »Ghettolied« zum ersten Mal gehört?

  • Über MC Basstard hatte ich die Chance, seinen damaligen Produzenten Woroc kennen zu lernen. Ich war dann manchmal im Studio und habe denen beim Aufnehmen und Kiffen zugeguckt. Die waren voll auf Chill-Modus! An einem Tag durfte ich dann auch mal Beats picken. Und während die anderen draußen am See spazieren waren, saß ich vor dem Computer und habe drei oder vier Stunden in alten Beatordnern herumgeklickt. Da waren teilweise Beats aus dem Jahr 2000 dabei, als Woroc gerade begonnen hatte, Beats zu bauen. Einer von 2002 hat mir so gut gefallen, dass ich sofort wusste: »Der ist es.«

  • Woroc hat das wahrscheinlich nicht so gesehen, oder?

  • Genau, er wollte mir den nicht geben. Er hatte keine Spuren mehr von dem Beat. Das war einfach ein mp3-Loop in schlechter Qualität. Wir haben dann drei Monate lang hin und herdiskutiert. Er hat fünf Remixe von dem Beat gebaut, aber keiner war auch nur im Ansatz so gut wie der Loop. Und irgendwann hat er dann aufgegeben und meinte: »Nimm das Ding, mach damit was du willst und blamier dich. Die Leute werden dich auslachen.« Das habe ich heute noch im Ohr. Aber ich war ein Träumer und habe fest daran geglaubt. Die Qualität war mir scheißegal, ich habe nur die Atmosphäre  gespürt.

  • Der Song war eine Zeit lang in Berlin sehr populär, richtig?

  • Zu der Zeit war MSN noch sehr weit verbreitet und ich hatte den Song an ein paar Freunde geschickt. Ich war ja auch noch keine große Nummer und habe nicht so penibel drauf geachtet, wem ich den Song zeigen kann und wem besser nicht. Ich war dann erst mal zwei Wochen in Pirmasens und als ich wiederkam, lief der Song überall. In den Autos und auch in der U-Bahn. Damals haben die Leute mp3s nicht mit Kopfhörern gehört, sondern auf den Lausprechern von ihren Nokia-Handys. Ganz Berlin kannte das »Ghettolied«, eine Woche später kannte es ganz Deutschland. Ich bin dann zu Woroc ins Studio und er wollte von mir wissen, was ich denn gemacht hätte. »Du kannst doch nicht einen Song in solch schlechter Qualität ins Internet stellen.« Ich meinte dann zu ihm: »Ich war das doch gar nicht!« Und außerdem sei das doch gerade mein Durchbruch. Dann hat er mich angeguckt und meinte: »Du hast alles gefickt, Bruder. Leute nehmen seit zehn Jahren bei mir auf und keiner hat so etwas vorher geschafft.«

  • Zu »Ghettolied« und zwei anderen Songs habt ihr ja auch ein Split-Video gedreht.

  • Ich habe vor dem Videodreh die ganze Stadt mit Aufklebern zugestickert. Die Leute wussten ja gar, nicht wie ich aussehe. Auf den Aufklebern sah man mein halbes Gesicht, leicht schattiert. Da drunter stand: »Massiv kommt!« Außerdem das Datum, die Uhrzeit und die Location. Und dann kamen knapp 2.000 Leute auf den Leopoldplatz im Wedding. Und dann haben wir gedreht. Auf 16mm-Film – das war für damalige Verhältnisse sehr aufwendig, richtig mit Filmrolle und so. Wenn du das Video heute siehst, merkst du, dass das ein sehr gutes Video ist. Ein sehr teures Video war das auch. Ich habe dafür meine Jordan-Schuhe und mein BMW-Cabrio verkauft. Und sechs Monate später habe ich mit Warner und Universal gedealt. Wegen einem Traum, wegen einem einzigen Loop.

  • Es gibt ja einige Zeilen aus dem Lied, die Kultstatus erlangt haben.

  • Du meinst »Mahmoud« und »Alhamdulillah, mir geht es gut«, ja? Das war zu der Zeit sehr kompliziert. Im Studio haben viele Leute gesagt, dass ich das streichen soll, weil ich dadurch die deutschen Hörer ausgrenzen würde. Aber ich konnte meine palästinensische Herkunft und meine Sprache nicht verleugnen. Besonders nach dem 11. September wurde so etwas ja sehr kritisch gesehen. Aber das war ich. Ich musste Sachen wie »Habibi« oder »Bau mir eine Festung und denk mir ›Inshallah‹« sagen. Hätte ich diese Sätze und Wörter gestrichen, wäre ich genauso feige wie alle anderen gewesen.

  • Heute ist das ja gang und gäbe …

  • Voll! Und das macht mich sehr stolz. Das ganze Azzlack-Camp benutzt eine eigene Sprache. Da muss man fünfmal hinhören, damit man es versteht. Aber es ist erfolgreich und sie bekommen Respekt dafür, dass sie in ihrer eigenen Sprache sprechen.

  • Ein anderer Kult-Satz lautet: »Es ist Schicksal, wir Kanaken landen immer im Gerichtssaal.«

  • (lacht) Das ist der Lieblingssatz von Xatar! Er hat mich danach direkt angerufen und mir erzählt, wie sehr er das gefeiert hat.

  • »Che Guevara war auch kein Kubaner« wird wohl auch für immer unvergessen bleiben.

  • Unnormal! (lacht) Apropos: Diese Palitücher sind heute ja absolut salonfähig. Früher haben das höchstens die Bio-Freaks in Berlin-Mitte getragen und heute laufen alle Rapper damit rum.