Joey Bargeld »Das war ein Zustand, in dem nix gefehlt hat.«

Alle seine Cousins, Onkel und Brüder sind Pusher. Und natürlich ist all das auch Joey Bargeld selbst nicht fremd. Obacht ist geboten. Mit dem Hamburger geht die KitschKrieg-Serie in die nächste Staffel.

Joey Bargeld

Zum ersten Mal tritt die brüchige Trademark-Stimme von Joey Bargeld auf dem Vorab-Track »Akku« der Haiyti-EP »Toxic« in Erscheinung. Nur wenige Zeilen rappt er darauf, oder krächzt vielmehr. Wer der Typ tatsächlich ist, weiß man nicht. Seinen Credit bekommt er erst auf dem Song »Zeitboy« der EP. Sonst irgendwas über Joey Bargeld? Nichts! Erst nach und nach tauchen neue Tracks, schließlich eine eigene EP und ein paar Musikvideos auf. Ein Rätsel bleibt der junge Mann mit der blassen Gesichtshaut aber trotzdem. Wie er da durch die Videos torkelt, kotzt, pisst und tanzt, dabei aber trotzdem irgendwie so zerbrechlich, so abgrundtief liebenswürdig wirkt.

Diese Liebenswürdigkeit fällt schließlich auch dem KitschKrieg-Kollektiv auf, wenn auch erst auf den zweiten oder dritten Blick. Zu abgedreht hatte Joey auf sie beim ersten Aufeinandertreffen in ihrem Studio gewirkt. Völlig zugedrogt, durchgeschwitzt, im zu kleinen, bauchfreien Shirt. Schließlich raufen sich alle Beteiligten dann doch zusammen, arbeiten an einem gemeinsamen Album, aus dem dann doch drei EPs werden. Trettmann nimmt ihn als Voract mit auf seine #DIY-Tour und plötzlich steht diese Gestalt aus der Hamburger Halbwelt in prall gefüllten Hallen, performt vor Massen. Jetzt steht seine neue EP »1.1« mit einem Gastauftritt seines Onkels Bonez MC an. »Ja, langsam geht’s los«, sagt Joey bescheiden.

Interview von: Tobias Wilhelm und Felix Pauschinger

  • Deine Musik eröffnet eine neue, oder zumindest ungewohnte Perspektive auf das Thema Drogen. Du glorifizierst sie nicht, verteufelt werden sie aber genauso wenig. Wie ist dein Verhältnis zu ihnen?

  • Sie sind irgendwie ein Angstauslöscher. Man bekommt durch sie für eine bestimmte Zeit Mut. Man säuft oder kokst sich was an, weil einem dann bestimmte Sachen leichter fallen. Angeblich. Tun sie natürlich nicht. Und dann kommt der Kater. Sie sind halt Ablenkung, wenn man traurig über irgendwas ist, eine Flucht. »Den Pain killen«, hat Hugo Nameless gesagt. Wo der Pain herkommt, weiß man auch nicht so genau. Bei einigen ist er halt da, bei einigen nicht. Bei mir war er immer da, schon als ich klein war. Dann ging’s los mit Wodka von Penny, mit Gras. In Hamburg gibt’s die Sternschanze und da gibts den Schanzenpark – da habe ich meine ersten Tütchen gekauft. Ich hab dann viele Jahre mit Jungs verbracht, mit denen es immer bis zum bitteren Ende ging. Das waren dann so drei Tage – man wollte nicht nach Hause gehen, nicht aufhören. Das wurde dann irgendwann stumpf, aber die. Zeit war auch schön. Aber der Tag danach war natürlich nicht so.

  • Du redest jetzt von Koks?

  • Ja, darauf haben wir immer groß diskutiert, die großen Themen aufgemacht. Politik und sonst was. Worüber man sich dann halt so unterhält. Was man nüchtern nie machen würde, in dem Ausmaß zumindest.

  • »Die harten Sachen jeden Tag – das ist nicht gut.«Auf Twitter teilen
  • Bei Tracks wie »Trap Haus« kommt ganz stark eine kaputte Stimmung durch, die ich selber von mir aus meinen Drogenzeiten kenne. Ist es denn so, dass du dich beim Schreiben von Songs in der jeweiligen Stimmung befindest?

  • »Trap Haus« entstand zu einer Zeit, als ich bei einem Kollegen in so einer Bude war, wo es nur um eins ging: Rein, raus, Treppenhaus, was verkaufen. Aber da du die ganzen Sachen, die du verkaufst, immer da hast, hast du halt auch immer Zugang zu ihnen. Das wurde dann irgendwann ein bisschen viel. Gut, dass es vorbei ist und ich da nicht mehr so oft bin. Den Text hab ich dann irgendwann zu Hause geschrieben. Das kam also aus dem Zustand, der länger gedauert hat, als ich es wollte. Mit Gras Dealen ist ja noch in Ordnung, da kannst du dir die Birne dicht kiffen, aber die harten Sachen jeden Tag – das ist nicht gut.

  • Du hast eben schon gesagt, dass der Schmerz bei dir schon immer da war…

  • Schon als ganz kleines Kind hatte ich nachts immer so Zustände. Ich bin atheistisch erzogen worden, hatte einfach keine andere Wahl. Manchmal habe ich nachts nach meiner Mutter gerufen und gesagt: »Was soll das? Irgendwer muss das hier doch erfunden haben?« Ich hatte nie einen Strohhalm, also eine Religion oder so, an dem ich mich festklammern konnte. Durch Ecstasy ging es mir dann einfach gut. Das war ein Zustand, in dem nix gefehlt hat.

  • »Ich habe trotzdem abgeliefert, aber mich extrem scheiße dabei gefühlt.«Auf Twitter teilen
  • Hilft die Musik im Alltag weniger zu nehmen oder driftet man auf Tour zum Beispiel erst richtig ab?

  • Trettmann und die Jungs von KitschKrieg sind ja schon älter, da ist es auf Tour ziemlich entspannt. Außerdem hatten wir echt viele Shows in kurzer Zeit – da musste ich schon schauen, dass ich halbwegs gesund lebe, um das überhaupt zu schaffen. Einmal hatten wir einen Off-Day in Berlin und dann bin ich mit einer Freundin ins Sisyphos. Eigentlich wollte ich ins Berghain, weil ich da noch nie war, aber dann sind wir im Sisyphos gelandet. Das hab ich am nächsten Tag echt bereut, da ging es mir echt beschissen. Ich habe trotzdem abgeliefert, aber mich extrem scheiße dabei gefühlt. Sonst hatte ich auf der Bühne immer einen Rausch-Zustand – halt einen natürlichen.

  • Kannst du schon vom Musik machen leben?

  • Ne, ich bin gerade noch auf Hartz4. Will ich eigentlich nicht mehr sein, aber ist schwer da wieder runterzukommen. Ich gehe auch nie zu den Terminen hin, kriege dauernd Kürzungen reingedrückt. Ich habe schon voll Bock aufs Musik machen, voll in die Industrie einzusteigen und alles mitzunehmen. Ich würde auch gerne für andere schreiben, auch poppige Sachen. Gerade arbeite ich an meinem ersten Album – da ist ganz viel mit Gitarre und Gesang. Das hat mit HipHop eigentlich gar nix mehr zu tun. Der Plan ist also: Hartz4 kündigen und von der Musik leben.

  • Würdest du alles für die Industrie machen? Ich habe bisher auch immer eine Anti-Haltung herausgehört oder zumindest hineininterpretiert.

  • Es gibt ja verschiedene Arten von Major-Verträgen. Wenn die mir das GEMA-Geld vorschießen wollen, können die das gerne machen. (lacht) Aber sonst, ja, ich bin schon kritisch. Dieses ganze Konsum-Ding geht mir zum Beispiel schon auf den Sack. Dass alle jetzt so krass auf Klamotten abgehen, ihr ganzes Geld da reinstecken. Supreme war schon vor drei Jahren out. Ich kauf meine Sachen nur Secondhand. Oder gehe klauen.