DJ Kitsune »Curse stand an der Spitze einer neuen Generation, die Deutschrap ein für alle Mal verändern sollte.«

Wir feiern 15 Jahre »Feuerwasser« von Curse mit zahlreichen Interviews zu dem Klassiker. Auch die Frankfurter DJ-Größe Kitsune hat die Karriere von Curse seit der Frühphase mitbekommen.

DJ Kitsune / Feuerwasser

Als Frankfurter HipHop-Urgestein kennt DJ Kitsune das Genre besser als viele andere. Er ist nicht nur ein landesweit gebuchter Club-DJ, sondern war neben seiner Tätigkeit bei der Radioshow »Dope Beats« auch Tour-DJ von Azad sowie der erste Deutsche in DJ Whoo Kids Shadyville-DJ-Team. Mit seiner eigenen Management-Agentur Starting Lineup ist er unter anderem für die erfolgreichen Schritte des international erfolgreichen Produzenten Crada und des Deutschrap-Crooners Teesy verantwortlich.

Dies ist der vierte Teil unserer »Feuerwasser«-Berichterstattung zum 15-jährigen Jubiläum des Curse-Debüts. Die Feierlichkeiten werden von der großen, exklusiv von ALL GOOD präsentierten »Feuerwasser 15«-Tour ab November begleitet.

  • Wann und wie hast du zum ersten Mal von Curse gehört?

  • Das erste Mal erwähnt hatte ihn Roey Marquis II., der damals zu meinen DJ-Mentoren gehörte. Er war sehr eng mit den Stieber Twins. Ich denke, dass sich in diesem Zusammenhang auch die Legende um das sagenumwobene Demo-Tape verbreitet hat. »La Familia« (vorerst exklusiv auf einem Roey Marquis-Mixtape) war damals ein sehr weltverändernder Deutschrap-Song für mich.

  • Wie war euer erstes Treffen?

  • Ich glaube, das erste Treffen war im Rahmen unserer Radio-Show »Dope Beats«, in der B.A., Chubby, Roey Marquis und ich bereits vor »Feuerwasser« die allerersten Singles gespielt hatten – also »Sonnenwende« und so weiter. Curse empfand ich damals als extrem redegewandte, gefestigte Person, die – obwohl kaum älter als ich – damals ein sehr krasses Standing in der Szene genoss. Er trug einen Newcomer-Szene-Hype als Aura mit sich, wie ich es vorher nicht erlebt hatte. Dazu war er aber sehr freundlich und eloquent, keineswegs abgehoben oder distanziert.

  • »Er trug einen Newcomer-Szene-Hype als Aura mit sich, wie ich es vorher nicht erlebt hatte.« Auf Twitter teilen
  • Welche Verbindungen hatte Curse in der Szene?

  • Von dem, was man zum damaligen Zeitpunkt mitbekommen hatte, war er für mich immer im Stieber-/Cora-Umfeld, mit engem Draht nach Frankfurt zu Azad, Roey Marquis II., Tone und J-Luv, sowie nach Köln mit STF, Tatwaffe, Peer und Jive als Label. Von den wesentlich engeren Connections zum Klan und Busy habe ich damals nicht so viel mitbekommen – was sicher auch daran lag, dass diese Namen damals im Frankfurter Raum noch ein Insider-Geheimnis waren.

  • Wie haben die Singles sowie die »99 Essenz«-EP auf das Album hingeführt? 

  • Wegweisend für mich waren insbesondere die »La Familia«-Maxi, die ersten Jive-Singles (wie »Sonnenwende«) und die Spritual-Warriors-Maxi »Grüner Tee«. Mit »Wahre Liebe« war dann endgültig die Richtung ausgewiesen. Dass das Album dann doch auch einen – bis dato von mir nicht wahrgenommenen – Einfluss von ungewohnten Lord-Scan-Beats hatte, klang für mich sehr überraschend.

  • Wir wurde in der Szene vor Release über das Album gesprochen?  

  • Most anticipated in 2000. Und das ein Jahr vor der großen Klasse von 2001 mit Samy Deluxe, Azad und Savas, die ja auch schon ganz gehörig von sich reden ließen. Insofern war sehr schnell klar, dass Curse an der Spitze einer neuen Generation stand, die Deutschrap ein für alle Mal verändern sollte. Das hörte man auch aus Gesprächen mit älteren, damals bereits länger aktiven Rappern, die keinen Hehl daraus machten, dass Curse in einer vorher nicht dagewesenen Liga spielte.

  • »Zum ersten Mal klang ein Rapper fokussiert, hungrig und lyrisch intelligent – mit einer Attitüde auf Songs, die man so nur von US-Rappern kannte.«Auf Twitter teilen
  • Was war besonders an »Feuerwasser«?

  • Für mich persönlich war es die Tatsache, dass es zum ersten Mal ein Künstler in meinem Alter war. Alle anderen, die ich damals extrem gerne gehört habe, waren einfach ein gutes Stück älter. Aber die Storys, von denen Curse erzählte, entsprachen einfach meinem Leben und meiner Sichtweise auf viele Dinge. Neben den guten bis sehr guten Produktionen, die damals auf dem Level auch alles andere als selbstverständlich waren, war es aber in allererster Linie Curse‘ Rapstil, Wortwahl, Stimme, Delivery und das vorher nicht dagewesene Storytelling. Zum ersten Mal klang ein Rapper fokussiert, hungrig und lyrisch intelligent – mit einer Attitüde auf Songs, die man so nur von US-Rappern kannte.

  • Hattest du einen Lieblingstrack auf dem Album?

  • Dadurch, dass ich »Wahre Liebe« bereits als Single sehr lange gehört hatte, litt der Song in Retrospektive etwas, als ich dann endlich das Album hatte. Aus persönlichen Gründen war damals »Hassliebe« ein sehr aktuelles Thema für mich, aber auch als Song ist er ja sehr gut gealtert. Dazu alle Iman-Produktionen, die für mich besonders herausragend waren.

  • Wie passte das Album musikalisch in die Zeit?

  • Insgesamt hat »Feuerwasser« den Zeitgeist auf bis dahin ungehörter Qualität eingefangen. Lord Scans Produktionen fand ich damals sogar eher der Zeit voraus. Für 1999 war mir das zu futuristisch. Heute würde ich sagen, dass Scan auch in keine spätere Ära richtig gepasst hätte. Er war einfach für jede Zeitrechnung zu innovativ – was ich aber in keinster Weise als qualitative Wertung verstanden haben will. (lacht)

  • »Curse war gefühlt immer eine Nummer näher an Amerika, ohne platt zu kopieren.« Auf Twitter teilen
  • Was für ein Typ war Curse im Vergleich mit den anderen relevanten Rappern der Zeit um die Jahrtausendwende?

  • Curse war gefühlt immer eine Nummer näher an Amerika, ohne platt zu kopieren. Man hatte den Eindruck, dass er – neben Anderen – einer der Ersten und Besten war, die die Essenz der großen US-Rapper extrahieren und studieren konnten, ohne zu kopieren oder eine Atmosphäre zu übertragen, die in Deutschland nicht funktioniert hätte. Besonders deutlich wurde das auf Beats von Busy und Iman, die ja auch musikalisch sehr nahe an New York waren.

  • War die Zusammenarbeit mit den Amis – The Arsonists, Shabazz The Disciple – etwas Besonderes?

  • Jein. Man hatte auf dem Schirm, wer die Jungs waren, und es war eine coole Sache. Aber weder die Arsonsist noch Shabazz waren Künstler, die mich als Fan in irgendeiner Weise berührt haben. Insofern waren sie eine bemerkenswerte Randnotiz für mich, die das Album aber nicht besser oder wertiger gemacht haben. Pete Rock auf »Sinnflut« war da das genaue Gegenteil.

  • Wie war Deutschrap, als Curse »Feuerwasser« veröffentlichte?

  • Spannender denn je und der ideale Nährboden für einen Jungen, der das für Deutschrap tun konnte, was Rakim und Nas für den US-Rap getan haben: ein ganzes Genre in puncto Lyrik, Delivery, Performance, Wortwahl, Reimtechnik und Storytelling auf ein neues Level heben. In jeder Stadt gab es Crews, Produzenten, DJs, Jams und jede Menge Kids, die nicht genug von diesem neuen Ding bekommen konnten. Der landesweite Austausch war besser denn je und man wollte sich gegenseitig auch immer helfen – sehr wohl bewusst darüber, dass mehr und mehr Geld in die Szene kam, aber noch keiner mit Rap-Musik reich wurde.

  • Wie erging es dir dabei, als dieser Jungspund sich das Recht herausnahm, zehn Rap-Gesetze aufzustellen?

  • Ich bin ja noch ein Jahr jünger als Curse, von daher kam es mir nicht so komisch vor wie anderen vielleicht. Dennoch war mir damals bewusst, dass das nicht ganz unumstritten war. Aber viele der Älteren konnten sich nicht wirklich echauffieren, weil die inhaltliche Aussage ja absolut korrekt war und 1999 mit den Lines zu Breaking und Graffiti ja eher schon fast konservativ gewertet werden musste.

  • »Jeder, den ich kannte, empfand ›Feuerwasser‹ als wegweisend.«Auf Twitter teilen
  • Wie war die Stimmung in »der Szene« gegenüber Curse und seinem Debüt?

  • Jeder, den ich kannte, empfand das Album als wegweisend. Auch wenn es vereinzelt vielleicht Leute gab, die Stieber- und Busy-Beats besser fanden als Lord Scans Produktionen, war klar, dass Curse mit dem Album auch lyrisch noch einen auf die Singles drauf gesetzt hatte.

  • Wurde die Szene von Curse im Allgemeinen und »Feuerwasser« im Speziellen irgendwie beeinflusst? 

  • Ich glaube, mit dem Erfolg von Curse war es auf einmal möglich, als MC lyrisch und anspruchsvoll zu sein und trotzdem den Support von einer großen Plattenfirma zu bekommen. Curse ist ja nicht einmal bei den Singles einen Kompromiss eingegangen und hat für höchst kredibile Rapper wie Azad, Kool Savas, Samy Deluxe und andere echte Stars aus der Szene sicher die eine oder andere Tür geöffnet. Plattenfirmen schielen gerne auf die Konkurrenz und wenn einer sich was traut, dann folgen die anderen erst. Ich bin mir sicher, dass das auch für diese neue Generation an Rap-Stars galt.

  • Welche Stellung nimmt »Feuerwasser« in der Deutschrap-Historie ein?

  • Es ist eines der wegweisendsten Alben, in der bislang wichtigsten Ära für Deutschrap. Und außerdem ist es das vielleicht beste deutsche Debütalbum – bis zu diesem Zeitpunkt und vielleicht darüber hinaus. Ob es nun das deutsche Äquivalent zu »Illmatic« oder »Ready To Die« ist, darf man sich dann gerne aussuchen.

  • Wie findest du, ist »Feuerwasser« 15 Jahre später gealtert? 

  • Ich habe das Album gerade noch einmal gehört und war erstaunt, dass es nicht so sehr an Charme verloren hat, wie ich befürchtet hatte. Das bezieht sich in erster Linie auf den Zeitgeist der Produktionen und zeigt damit ganz klar auf, dass Busy, Iman und Co. bereits damals schon auf allerhöchstem internationalen Level waren. Insofern geht das Album in allen typischen Klassiker-Kriterien durch und hat an Nostalgie gewonnen, aber in keiner Weise an Qualität verloren – auch wenn Curse in den Jahren danach sogar noch bessere Alben gemacht hat.