Film-Review: »Straight Outta Compton«

Straight Outta Compton

Wenn Hollywood HipHop auf die Leinwand bringt, ist Skepsis traditionell ein guter Schutz vor Enttäuschung. Zu häufig bekam man verkitschte Epen mit Fremdschamszenen oder schauspielerisch überforderten Rappern vorgesetzt. Diese Filme scheiterten mitunter an ihrem Anspruch, ein breites Publikum genauso zu bannen wie den eingeschworen Kreis von Rapfans. Bei »Straight Outta Compton« liegen die Dinge anders. Der Film ist wirklich gut. Und das hat ganz sicher mit Regisseur Gary Gray zu tun. Er ist vom Fach: Musikvideos für Ice Cube, Outkast und TLC dokumentieren Expertise. Dazu kommen die Filme »Friday«, »Set It Off« und »The Italian Job«. Und: Er ist in Compton geboren und aufgewachsen.

»Straight Outta Compton« startet Mitte der Achtziger mit der langsamen Formierung der Gruppe und endet kurz nach Eazy-Es Tod und Dres Gründung von Aftermath. Im Film sollte es aber nicht nur um den kometenhaften Aufstieg von N.W.A gehen, sondern auch die soziokulturellen Rohstoffe, die in ihre Kunst einfließen, beleuchten. Ein Leitmotiv bildet dabei das später im »Straight Outta Compton«-Video zentral gesetzte Element des Racial Profilings – mehrfach werden die Bandmitglieder mehr oder weniger grundlos von der Polizei schikaniert und zu Boden gedrückt. Es ist dieses Moment des erfahrenen Ausgeliefertseins, das an späterer Stelle Eazy angesichts der Bilder vom Polizei-Übergriff auf Rodney King die Tränen in die Augen treiben wird. Minutiöse Gesellschaftsanalyse darf man bei diesem – durchaus für ein breites Publikum produzierten – Werk aber eher nicht erwarten. Die Stärke liegt dennoch darin, symbolische Bilder zu integrieren, die dem annähernd geschichtsbewussten Zuschauer das soziale Klima nahe bringen. Die Szene, in der während der LA-Riots im Jahr 1992 zwei Afroamerikaner gemeinsam das blaue und rote Bandana verknotet hochhalten, ist etwa ein Gänsehautmoment. Diese Formel der effektvollen Verknappung gelingt ebenso, wenn der Film zeigt, wie einige Songs entstanden sind: Dre spielt ein wenig an Leon Haywoods »I Wanna Do Something Freaky To You« herum, auf einmal sitzt die Bassline, Snoop steigt spontan ein und fertig ist »Nuthin’ But A G Thang«.

Der Film zeichnet die Figuren überwiegend ohne Klischeehaftes: Eazy wird treffend als kleiner Dealer vorgestellt, der die Ware in einer Bassbox versteckt – ein schönes Bild für jemanden, der seine Hände zunächst eher am Weedbeutel als am Mic sah. Ob man dann Compton als Kriegsschauplatz derart ausbuchstabieren muss, dass ein Panzer zur Stürmung eines Drogenhauses durch die Tür fährt, ist schon weniger (stil)sicher. Die Protagonisten werden in jedem Fall so präsentiert, wie sie sich der Fan aus verschiedenen Quellen zurechtgelegt hat: Neben Eazy wird Dre als Musiknerd und DJ eingeführt, der einem geregelten Job genauso fern ist wie einem geordneten Familienleben. Yella ist immer irgendwie mit dabei, beschränkt sich aber aufs gelegentliche Auflegen und Frauenverführen. MC Ren verliert kaum Worte, schreibt aber viele Texte und überzeugt im Vortrag. Wäre da noch Ice Cube, der als wacher Beobachter des alltäglichen Wahnsinns die Gabe hat, Geschautes in Reality Rap zu überführen. Er und Dre werden als die musikalischen Visionäre der Crew inszeniert, während Eazy vor allem auf der Business-Ebene die Fäden mit Jerry Heller und Ruthless Records (ver)zieht. Den weiteren Verlauf kennt man entweder – oder schlägt ihn in dem großartigen Buch von Dan Charnas nach. Das Gleiche gilt für die Label- und Vertragsverstrickungen, die im Film nur schemenhaft artikuliert werden.

Die zu interpretierende Bandgeschichte bringt es mit sich, dass auch das persönliche Drama nicht zu kurz kommen darf – Cube gegen Heller, Cube gegen Eazy, Eazy gegen N.W.A.-Rest, Eazy gegen Heller und so weiter. Die Schauspieler machen ihren Job dabei allesamt gut oder gar sehr gut. Herausragend ist sicher die Performance von Jason Mitchell (Eazy), dem es als wichtige Figur gelingt, den Plot zu tragen, wenn mal nicht fantastische Crenshaw- oder Konzertbilder dominieren. Dazu kommt Cubes Sohn O’Shea Jackson Jr.: Wüsste man es nicht besser, man würde glauben, dass es Cube selbst zu Zeiten seiner Doughboy-Rolle in »Boyz N The Hood« ist. Bis auf die Falte im Stirnbereich und die Art, wie der Mund verzogen wird: Wahnsinn. Auch Corey Hawkins füllt seine Dre-Rolle überwiegend gut aus. Dass man gerade die melancholischen Passagen nicht gänzlich überzeugend findet, mag (wie bei der Presse-Premiere) auch an der – manchmal wacken – deutschen Synchronisierung liegen.

Gray gelingt es dennoch, den interessierten Kinogänger genauso zu fesseln wie den Fan, dessen Kopfkino über weite Strecken gelungen auf die Leinwand projiziert wird. Wenn dann noch witzige Kurzauftritte von Snoop und Pac ein zwar minimales aber prägnantes Schlaglicht auf ihre Rolle und ihren Status ermöglichen, dann wird deutlich, dass Gray hier keine lärmende Blockbuster-Ware, sondern ein Herzensprojekt abliefert. »Straight Outta Compton« ist ein absolut unterhaltsamer Streifen, der mit Liebe zum Detail – wie z.B. Klamotten und Settings – eine Zeit nahe bringt, in der subversive Texte von Afroamerikanern noch FBI-»Interesse« und Mittelfinger für die Cops Konzertauflösungen bedeuten konnten. Vor dem Hintergrund der rassistisch motivierten Shootings in den USA gewinnt der Film zusätzlich an trauriger Aktualität.