Film-Review: Nas – »Time Is Illmatic«

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Zu Nas‘ Debütalbum ist alles gesagt. Jeder, für den Rap nicht nur eine kurze Jugendphase war, weiß um Bedeutung und Status von »Illmatic«. »Illmatic« ist so synonym für »Rapklassiker« wie »googeln« für »Internetrecherche«. Wer noch Nachhilfeunterricht zum Album und Nas‘ Gesamtkarriere braucht, dem seien »20 Years After Nas« oder der »Kings of HipHop«-Artikel von Stephan Szillus empfohlen. Oder natürlich der Real Talk von Anthony Obst und Davide Bortot zur Gretchenfrage: Ist »It Was Written« das bessere »Illmatic«?

Was also kann der Dokumentarfilm »Time Is Illmatic« von Graffiti-Artist One9, der am 25. Juni Deutschlandpremiere feierte, dem Album Neues abgewinnen? Welche Informationen liefert er zu »Illmatic«, die nicht schon anderweitig oder so ähnlich bekannt sind? Die kurze Antwort: eher wenige. Das ist aber auch weder Anspruch noch Kern des gut 80-minütigen Werks. Dem Film geht es vor allem in der ersten Hälfte um eine dichte Beschreibung von Zeit und biografischer Situation des damals 21-jährigen Rappers aus den Queensbridge Projects. Dabei macht die Form dankbarerweise einen großen Bogen um grelle Bildsprache, Schnitte in Millisekunden-Takt und den pathetisch-allwissenden Erzähler im Voice-Over-Format. Es macht eben einen Unterschied, ob Filme auf namenhaften Filmfestivals laufen oder von vornherein als Kurz-Feature für TV und Internet angelegt sind.

Die Erzählung des Entstehungskontext und die biografische Einordnung wird dann auch komplett dem Bildmaterial selbst und kundigen Menschen aus Nas‘ Umfeld überantwortet. Large Pro, Pete Rock und Q-Tip kommen ebenso zu Wort wie der in der Kindheit weitgehend abwesende Vater (Jazzmusiker Olu Dara), der Bruder Jungle (ehemals Bravehearts) oder auch Cornel West. Fotos aus dem Familienalbum, Schnappschüsse oder Momentaufnahmen des ikonisch gewordenen Hangouts auf der Parkbank vor den Hochhäusern sowie nüchterne bis imposante Kameraeinstellungen von QB aus der Vogelperspektive liefern hier genau die biografische Topografie, in die »Illmatic« anno 1994 eingebettet war: ein Schwanken zwischen künstlerischer Ambition und (Street-)Hustle, zwischen Liebe für die Familie und Familienstreitigkeiten – all dies eingekapselt in einem Vibe, den man nur diffus als dreckigen New York State of Mind beschreiben kann.

Fast alle Kommentatoren portraitieren Nas weitestgehend als das, wofür er in der Retrospektive auch bekannt ist: als künstlerisch talentierten, nachdenklichen Jungen im falschen Viertel, auf den falschen Schulen, zu einer Zeit, in der zutiefst verankerter Rassismus, skandalöse Stadtplanung und Crackhandel den Alltag des gefängnisartigen Blocks verdunkeln. Einen Jungen, der sich durch die beeindruckende Hausbibliothek wühlt, aber auch die freshen Sneaker und den Dresscode der Rapper und Pusher bewundert. Den Weg dahin ebnen aber nur kurz und teilweise die Crack Rocks. Die junge Roxanne Shanté, MC Serch, Large Professor und natürlich Marley Marl reißen die Tür zur Karriere auf. Nas überzeugt. Auf dem Debüt liefern DJ Premier und so ziemlich jeder relevante Produzent dieser Tage auf dem obersten Level ab. Dies wie auch der ganze Rest ist bekannt. Jeder der zehn Tracks ist ein Klassiker – wie viele (Rap-)Alben dieser Sorte gibt es schon?

Und doch liefert der Film hier verrauschte VHS-Bilder, die das Bekannte – Nas war ein raptechnisches Ausnahmetalent – physisch geradezu nachvollziehbar machen: Ein Kameramitschnitt des Nas-Parts auf dem Main-Source-Track »Live At The BBQ« von 1991 zeigt den damals 18-Jährigen bereits als Streetpoet. Wenn es um das Energielevel geht, ist im deutschen Rap vielleicht nur ansatzweise der Gastverse von Savas auf Creutzfeld & Jacobs »Fehdehandschuh« vergleichbar:

»Street’s disciple, my raps are trifle / I shoot slugs from my brain just like a rifle / Stampede the stage, I leave the microphone split / Play Mr. Tuffy while I’m on some Pretty Tone shit / Verbal assassin, my architect pleases / When I was twelve, I went to hell for snuffing Jesus / Nasty Nas is a rebel to America / Police murderer, I’m causing hysteria / My troops roll up with a strange force / I was trapped in a cage and let out by the Main Source«

Die Stärke des Films liegt aber nicht nur in der Herausarbeitung der Brillanz ausgewählter Tracks oder der Einbindung kontextfreilegender Produzentenlegenden, sondern auch im persönlichen Portrait: Verschiedentlich fährt die Kamera ganz nah an Nas heran – und wenn der Rapper dann über sich, Familie, gefallene Homies und seine Jugend spricht, wird auch für einen Augenblick Nasir Jones erkennbar. Für einen Film, der in erster Linie ein Album beleuchten will, ist dies eine bemerkenswerte Leistung. (Für ein detaillierteres Personenportrait, das man sich nach dem Film gelegentlich wünscht, wäre es allerdings ein zu seltener Moment.) Und doch kann man sich bei der einen oder anderen Szene nicht des Eindrucks erwehren, dass hier jemand trotz (oder gerade wegen) all dem Ruhm etwas müde und saturiert geworden ist. Nas hat ganz sicher nicht mehr das Niveau von »Illmatic«. Aber wer hat(te) das schon?

Eines ist jedenfalls sicher: Filmische Denkmäler, die es auf die Leinwände schaffen, bekommen in der Regel nur die ganz Großen im Pop: die Doors, die Stones oder zuletzt auch Kurt Cobain und demnächst Amy Winehouse. Björk findet gar im MoMa statt. Und mit »Time Is Illmatic« jetzt eben auch Nas. Der Festivalfilm dürfte dazu beitragen, dass Nas stärker als zuvor in das popkulturelle Gedächtnis eingeschrieben wird.